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Internationale Jahre

Friedrich Weinreb
Friedrich Weinreb

Von den Fünfziger- bis in die Siebzigerjahre lebt Weinreb als Professor der Ökonomie mit seiner Familie in asiatischen und europäischen Ländern. Er ist in verschiedenen Funktionen als Professor, Dekan, Rektor, Entwicklungsexperte und Schriftsteller in Indonesien, Indien, Türkei, Schweiz und Israel tätig. Immer wieder hält er auch Kurse zur jüdischen Überlieferung.

Anfang der Fünzigerjahre wird Weinreb von der niederländischen Regierung für vier Jahre nach Indonesien geschickt, das seit 1949 ein unabhängiger Staat geworden war. Die frühere Kolonialmacht war sehr daran interessiert, durch ihre besten Wissenschaftler die Ausbildung einer indonesischen Elite zu gewährleisten. 1952 tritt Weinreb seine Stelle als Ordinarius für Ökonometrie und Statistik an der Universität von Jakarta an. Er wird mehrfach von Staatspräsident Sukarno eingeladen, lernt 1955 anläßlich der Bandungkonferenz Nehru, Tschou En Lai und Nasser kennen. 1956 wird er nach Kalkutta berufen, wo er an der dortigen Universität Vorlesungen hält und am zweiten Fünfjahresplan Indiens mitarbeitet. Im selben Jahr kehrt er nach Holland zurück, nimmt seinen Wohnsitz in Den Haag und hält Vorlesungen an der Rotterdamer Hochschule.

Gleichzeitig setzt Weinreb seine schon 1949 begonnen Kurse und Vorträge in privaten Kreisen zu biblischen Themen, zum Judentum und zur jüdischen Überlieferung fort. «Ich lebte», schreibt er in seiner Autobiographie, «ganz in der Welt dieser Worte, der Bibel und den Überlieferungen. Obwohl man von außen eher hätte denken müssen, ich fände in den Vorlesungen auf wissenschaftlichem Gebiet, in meinen wissenschaftlichen Berichten, meinen wirtschaftlichen Beratungen meine Hauptbeschäftigung.»

1958 schickt ihn die holländische Regierung nach Ankara, wo gerade die Middle East Technical University gegründet wurde, an der Weinreb den Lehrstuhl für Ökonometrie erhält und ein Jahr später Rektor der Universität wird. Nach dem Militärputsch 1960, in dessen Folge der ehemalige Ministerpräsident Menderes hingerichtet wird, verläßt Weinreb enttäuscht die Türkei im Sommer 1961.

Genf ist die nächste Station, wo er nun vier Jahre lang als Experte für zwei große Organisationen der Vereinten Nationen tätig ist. Gleichzeitig lehrt er auch als Gastdozent am Institut des Hautes Etudes International in Lausanne. In Genf, wo er die Lebensweise einer internationalen Wohlstandselite in konzentriertester Form erlebt, in dieser Atmosphäre geschäftiger Betäubung, schreibt Weinreb sein bahnbrechendes Grundlagenwerk zur Bibel: eine Art Gegenentwurf zum Leben, wie es ihn im beruflichen Alltag umgibt. Schon im Herbst 1963 erscheint das umfangreiche Werk unter dem Titel «De Bijbel als Schepping» (Die Bibel als Schöpfung) im Verlag Servire in Den Haag; Anfang 1966 kommt eine stark gekürzte deutsche Fassung mit dem Titel «Der göttliche Bauplan der Welt» in Zürich heraus, «als Einführung in die hoffentlich bald zu erwartende, vollumfängliche deutsche Ausgabe», wie der Übersetzer und Bearbeiter in seinem Vorwort schreibt. Sein Wunsch geht erst 1994 in Erfüllung, als die ungekürzte deutsche Ausgabe erscheint, mit dem Titel, vom Autor noch zu Lebzeiten bestimmt: «Schöpfung im Wort. Die Struktur der Bibel in jüdischer Überlieferung».

Das unerwartet lebhafte Echo, das dieses Buch in Holland, dann vor allem auch in der Schweiz und in Deutschland hervorruft, veranlaßt Weinreb, seine zunehmend als lästig empfundene akademische Tätigkeit vorzeitig zu beenden. 1964 läßt er sich in Den Haag, später in Naarden nieder. Begeisterte holländische Freunde gründen eine private Akademie als Forum für seine Kurse und Vorträge über die hebräische Sprache, die Bibel und die jüdische Überlieferung.

Das Kapitel über Weinreb in Jacques Pressers Buch «Ondergang», von dem schon die Rede war, löst bald nach seinem Erscheinen 1965 wahre Hetzkampagnen gegen Weinreb aus. Pressers Untersuchung belegt, daß es nennenswerten Widerstand gegen die Deportationen der Juden in Holland kaum, jüdischerseits überhaupt nicht, gegeben hat, bis auf Weinreb, den man dafür auch noch bestrafen zu müssen glaubte. Das konnte die holländische Gesellschaft, die von sich ein ganz anderes (Helden-) Bild entwickelt hatte, nicht verkraften.

Im April 1968 verläßt Weinreb Holland und nimmt nach einem Zwischenaufenthalt in der Schweiz seinen neuen Wohnsitz in Jerusalem. Dort nimmt er die Arbeit an seinen Kriegsmemoiren wieder auf, die er 1962 auf Drängen von Professor Presser - «Sie sind der Welt verpflichtet, Ihre ganze Kriegszeit zu beschreiben» - begonnen hatte. Der renommierte Amsterdamer Verlag Meulenhoff gibt das Werk mit dem Titel «Collaboratie en verzet» (Kollaboration und Widerstand) schon 1969/1970 in drei Bänden heraus. Für den ersten Band, «Im Land der Blinden», wurde Friedrich Weinreb 1969 der Literaturpreis der Stadt Amsterdam zugesprochen. In seinem Vorwort betont Prof. Presser auch «die außerordentlichen Qualitäten dieser Schrift als historisches Dokument». Weinrebs Kriegserinnerungen sind nicht nur in der niederländischen, sondern auch in der gesamten Nachkriegsliteratur unvergleichbar und einzigartig. Die deutsche, ebenfalls dreibändige Ausgabe erschien 1989 unter dem Titel «Die langen Schatten des Krieges».

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