Weinreb Stiftung

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Thema

Hier werden wichtige Themen von Autoren beleuchtet, die mit dem Werk von Friedrich Weinreb vertraut sind.

Mysterium des Leidens und der Auferstehung



Alle vier Evangelisten berichten über den feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem kurz vor Seinem Leiden, Sterben und Seiner Auferstehung. In der Karwoche, beginnend mit dem Palmsonntag, sind wir jeweils dazu eingeladen, uns anhand der Berichte in den Evangelien mit dem Mysterium des Leidens, von Schuld, Sühne und Erlösung zu befassen. Dazu einige Betrachtungen zur Passionszeit und zu Ostern von Bruno Jans.



Das Volk begrüsst Jesus bei Seinem Einzuge mit dem Rufe: "Hosanna, Sohn Davids!" Hosanna ist der nicht ganz korrekt übernommene hebräische Ausruf: "hoschana!", zusammengesetzt aus: "hoscha": Helfe!, Rette! und "na": doch bzw. bitte. "hoschana" also ein Bittruf: "Hilf doch!" "Hilf bitte!" Analoges gilt für den ebenfalls oft verwendeten Ausdruck "Hosianna"; auf Hebräisch "hoschuah na", "Hilfe bitte" oder „Rettung bitte!". Dazu hat der Name Jesus, abgeleitet von Jehoschuah, einen unmittelbaren Bezug; er bedeutet: "Der Herr ist Hilfe, Rettung". Hilfe, Rettung, Heil; die drei Begriffe haben eine grosse innere Verwandtschaft. Der im Deutschen anstelle von Jesus oft verwendete Ausdruck "Heiland", was Rettender, Helfender und Heilender bedeutet, ist daher zutreffend.

"Hoschana, Sohn Davids!" ruft die Menge: "Hilf doch, Sohn Davids!" Sie weiss, der Messias stammt aus dem Geschlechte Davids. "Sohn Davids" bedeutet in diesem Bittruf: Wir sind bereit, dich als den Messias anzuerkennen. Und darum "Hoschana, hilf (uns) doch, rette doch!" Aber gefälligst so, wie wir es uns vorstellen, wie wir es möchten, nämlich Befreiung vom drückenden Joche der römischen Besatzer. Andernfalls suchen wir uns einen andern aus, z.B. den Barabbas, der Stärke zeigt und nicht davor zurückschreckt, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen und dabei sogar den Tod von Mitmenschen in Kauf zu nehmen.

 

Fusswaschung: Aufruf, einander zu vergeben

Als Einziger berichtet der Evangelist Johannes, wie Jesus, beim letzten Abendmahle, den Jüngern die Füsse wäscht − ein typischer Sklavendienst. Und Jesus fordert seine Jünger explizit dazu auf, Seinem Beispiele zu folgen und es Ihm gleich zu tun. Geht es wirklich ums Waschen der Füsse oder um etwas Grundsätzlicheres? Beginnen wir mit dem ganz Konkreten: Die Füsse sind jener Teil unseres Körpers, der direkte Berührung zum Boden, zur Erde also, hat, wenn wir gehen oder stehen. Während die übrigen Körperteile von aussen betrachtet vertikal ausgerichtet sind, zeigen die Füsse eine horizontale Ausrichtung, was den Kontakt zur Erde vergrössert. Und es lässt sich nicht vermeiden, dass sie bei diesem Kontakt staubig und schmutzig werden, unrein also.

Gibt es nicht etwas Analoges dazu in unserem Leben, dort wo wir handeln? Auch dort bzw. dann haben wir direkten Kontakt mit unserer Umgebung, unserer Umwelt und mit Menschen. Und wir alle wissen es: Wer handelt, begeht auch Fehler, kann sich schuldig machen, wird in diesem Sinne unrein. Womit aber werden Schuldige wieder reingewaschen, wenn nicht durch unser Vergeben? ( Johannes 20, 19-23). Einander die Füsse waschen könnte demnach bedeuten, einander zu vergeben, zu verzeihen. Dazu passt, was Jesus zum sich wehrenden Petrus sagt: "Wenn ich dich nicht wasche, hast du keine Gemeinschaft mit mir." Und wenig später: "Wer gebadet hat, braucht nur noch die Füsse zu waschen; dann ist er ganz rein." (Johannes 13, 1-15).

Gemeinschaft mit Jesus zu haben, hängt doch nicht von der Sauberkeit der Füsse ab. Sonst hätten die Scharen, die Jesus auf seinem Wege begleiten, ja meistens keine Gemeinschaft mit ihm haben können − eine absurde Vorstellung! Dass aber Gott von uns verlangt, einander zu vergeben, darauf hat Jesus wiederholt hingewiesen (z.B. in Matthäus 18, 23-35), nicht zuletzt auch im Vaterunser. Als Ebenbilder Gottes sollen wir handeln wie Er und einander immer wieder vergeben, wie auch er uns immer wieder vergibt. Verzeihen als Ausdruck gelebter Nächstenliebe, jener Pforte also, durch welche Gottes Gnade und Frieden bei uns Einzug halten und in uns wirksam werden können.


Handeln nicht auch wir oft wie Judas?

Der Osterfreude, der frohen Kunde von der Auferstehung Jesu Christi, geht die Leidenszeit voraus. Christus, unser Herr, wird ausgeliefert, zum Tode verurteilt, gefoltert und stirbt qualvoll am Kreuze. Übereinstimmend nennen alle vier Evangelisten Judas Iskariot als jener unter den zwölf Aposteln, der Jesus an die Hohenpriester verraten hat. Judas verkauft Jesus für 30 Silberlinge. Ein anderes Wort für verkaufen ist: veräussern. Und dies drückt die Absicht des Judas wohl sehr treffend aus: Er will Jesus zwingen, sich öffentlich als der Messias zu erkennen zu geben, d.h. nicht nur seinen Jünger und Jüngerinnen, sondern auch den Aussenstehenden, der breiten Öffentlichkeit. Einen Hinweis in diese Richtung geben die Evangelisten selber, berichten sie doch, dass die Verabre­dung des Judas Iskariot mit den Hohenpriestern zur Auslieferung von Jesus unmittelbar nach der Salbung in Bethanien erfolgt ist. Jesus nimmt die Frau, die kostbares wohlriechendes Salböl über sein Haupt giesst mit folgenden Worten in Schutz vor den protestierenden Jüngern, die das Ausgiessen des Salböls als Verschwendung bezeichnen: "… Sie hat ein gutes Werk an mir getan. … Sie hat meinen Leib im voraus für das Begräbnis gesalbt. … " (Markus 14, 3-11 und Matthäus 26, 6-16).

Kein Protest also und keine Auflehnung von Jesus gegen das bevorstehende Leiden und Sterben. Und das soll der Messias sein, der Israel vom Joch der Römerherrschaft befreien wird? Dies wird doch von Ihm erwartet, sogar von Seinen Jüngern (Vgl. dazu den Bericht, wie Jesus den „Emmaus-Jüngern“ erscheint, in Lukas 24, 13-27, sowie die Verse 4-8 in Kapitel 1 der Apostelgeschichte). Judas hofft wohl, dass sich Jesus angesichts der drohenden Verurteilung zum Tode durch den Hohen Rat machtvoll als Messias zeigen wird.

Und zuerst scheint der Plan von Judas ja zu klappen. Denn vor dem versammelten hohen Rat, wohin Jesus nach Seiner Festnahme am Ölberg gebracht wird, stellt der Hohepriester die entscheidende Frage an Ihn mit den Worten: "Ich beschwöre dich beim lebendigen Gott, sag uns: Bist du der Messias, der Sohn Gottes?" Und Jesus bestätigt es vor dem ganzen hohen Rat. Dann aber die Katastrophe: Der Herr wird für Sein Bekenntnis zum Tode verurteilt, und Er wehrt sich nicht gegen dieses Urteil! Keine Demonstration Seiner göttlichen Macht, was die Anwesenden hätte sofort umstimmen können (Matthäus 26, 59-68). Und als Judas diese für ihn unerwartete Wendung des Geschehens erfährt, zögert er nicht, zu den Hohepriestern und Ältesten zu gehen, um Jesu Freilassung zu erwirken. Die aber weisen Judas schroff zurück und lassen ihn allein in seiner Verzweiflung, die ihn zum Selbstmord treibt.

Judas ist abgeleitet vom hebräischen Namen Jehudah, dessen Wortstamm einen engen Bezug hat zu: loben, preisen, danken, bekennen (hodeh), aber auch zu: Pracht, Glanz, Hoheit (hod). Was aber haben Loben und Preisen sowie Pracht und Hoheit mit Verrat zu tun? Und was könnte das für uns bedeuten, haben heilige Schriften doch immer auch mit uns zu tun? Wo also handeln wir wie Judas? Im Folgenden einige Denkanstösse dazu:

Hoheit, Pracht und Glanz haben mit Ansehen zu tun, und Ansehen hat eine Beziehung zu Macht. Macht, ob im Grossen oder Kleinen, hat für uns etwas sehr Verführerisches, bietet sie sich uns doch als Helferin dar, eigene Ideen und Vorstellungen umsetzen zu können, und zwar hier, zu unseren Lebzeiten. Dass dabei Andere zu kurz kommen oder Unrecht erleiden könnten, wird als Kollateralschaden in Kauf genommen, ebenso, dass gewisse Ideale zumindest temporär ver­drängt werden müssen. Hauptsache, es geschieht hier und jetzt! Darauf zu vertrauen, dass alles in Gottes Händen gut aufgehoben ist und dass Er für den guten Ausgang sorgen wird, dazu fehlt uns sehr oft der Glaube. Das können wir uns einfach nicht vorstellen, angesichts des Leides und der Ungerechtigkeiten in dieser Welt.

Sind nicht auch wir immer wieder versucht, dort mehr oder weniger sanft nachzuhelfen, wo wir, von unserem Blickwinkel aus betrachtet, annehmen, dass etwas zum Lobe und zur Ehre Gottes gereicht, wenn es hier sichtbar gemacht wird bzw. zum Verschwinden gebracht wird, wenn es dem widerspricht, was wir für richtig erachten. Wir, das sind Du und Ich, einzelne Gruppen oder grosse Organisationen wie Religionsgemeinschaften. Und die Ergebnisse dieses unseres Nachhelfens sind nicht selten die Ächtung und Ausgrenzung Andersdenkender, Gewalt gegen Mitmenschen sowie, in grösserem Rahmen, Religionskriege. Allen gemeinsam ist der Verrat des Gebotes der Nächstenliebe sowie das Unvermögen, darauf zu vertrauen und zu glauben, dass es besser ist, Unkraut und Weizen bis  zur Zeit der Ernte gemeinsam wachsen zu lassen (vgl. das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen in Matthäus 13, 24-30).

Für uns aber tröstlich: Gott hat alles in Seinen Heilsplan integriert, auch den Verrat des Judas und unsere eigenen Verrate. Alles ist bei Ihm aufgehoben und wird von Ihm gerichtet, will heissen, an den richtigen Platz und in die richtige Beziehung gesetzt und auf diese Weise geheilt. Garant dafür ist die Osterbotschaft.

 

Wir wählen Barabbas ─ Die zwei ungleichen Söhne des Vaters

Von Barabbas heisst es, dass er wegen eines Aufruhrs und Mordes in den Kerker geworfen worden ist. Er will eben seinen Willen, seine Vorstellung von dem, was sein sollte, unbedingt durchsetzen, wenn's nicht anders geht, eben mit Gewalt ─ ein gewalttätiger Macher. Einer also, der Stärke zeigt, was Eindruck macht. Von uns kaum beachtet aber ist, was Barabbas heisst: „Sohn des Vaters“, bar – Sohn (auf Aramäisch), abbas – Vater. Auch Jesus bekennt sich als Sohn des Vaters –- offensichtlich zwei ganz verschiedene Söhne, wie beim Gleichnis vom verlorenen Sohne. Von Pilatus wird somit in jedem Falle ein Sohn des Vaters verlangt. Ist das nicht Grund genug, diesen Punkt etwas eingehender zu betrachten?

 

Gemäss der jüdischen Überlieferung haben Adam und Eva am Nachmittag des sechsten Tages, das ist der Freitag, von der Frucht des Baumes der Erkenntnis genommen. Der Baum der Erkennt­nis heisst auch der Baum, der Frucht macht, während der Baum des Lebens als Baum, der Frucht ist und Frucht macht bezeichnet wird. Beide hat Gott erschaffen; beide sind somit gut.

 

Frucht macht beinhaltet Bewegung, Entwicklung auf der Basis von Ursache und Wirkung, d.h. nach dem Kausalitätsprinzip, wozu auch das Paar Leistung/Lohn gehört. Es eröffnet sich uns die Perspektive, zumindest über einen begrenzten Bereich herrschen zu können, wo mein Wille geschehen soll und wir uns wie Gott fühlen können (Genesis 3, 1-5). Ich kann befriedigt zurückschauen und sagen: "Das habe ich bewirkt, mein Verdienst!" ─ ungemein attraktiv. Aber eben: Wo mein Platz ist, da hast du nichts verloren. Konkurrenz entsteht, Eifersucht, Misstrauen, Hass, Kampf und Tod.

Das ist jedoch nur eine Seite; denn zur Entwicklung gehört auch das Wachstum. Ein Weg öffnet sich, je individuell für jede und jeden von uns. Er bietet uns Gelegenheit zur Veränderung; Neuland tut sich auf; Wiedergutmachung und Vergebung werden möglich ─ Geschenk des Weges. Wo das Ziel verborgen ist, entsteht Raum für ein Tun umsonst, basierend auf  Glaube und Hoffnung, die beide ihrerseits auf der Liebe gründen.

 

In Frucht ist und Frucht macht, dem Baume des Lebens also, ist Entwicklung auch enthalten, jedoch verbunden mit dem Ziele, das zugleich Anfang ist ─ Anfang und Ende. Aus diesem Blick aufs Ganze wächst das Bewusstsein: "Alles ist mir geschenkt; ich muss es nicht verdienen", was Ruhe und Zuversicht schafft und das Gesetz von Leistung/Lohn relativiert. Ich weiss mich gebor­gen und getragen in Seiner Liebe, und kann nicht verloren gehen, was immer auch geschehen mag, kurz: Ich bin ein Erlöster. Ein Satz wie: "Doch nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine." lässt sich wohl nur vor diesem Hintergrunde aussprechen.

 

Zurück zur Szene vor Pilatus: Da stehen sie also, die zwei Gefangenen und Angeklagten, wiederum an einem Freitag: Hier der Herr, der zum Vater spricht: "Doch nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine." und zuvor schon: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist." Von ihm sind keine Revolution im herkömmlichen Sinne und kein spektakulärer Auftritt zu erwarten. Seine Aufmerksamkeit schenkt er den Bedürftigen und Suchenden. Und oft schon hat er gesagt: "Deine Sünden sind Dir vergeben." Keine Vorwürfe, keine Verurteilungen. Wer ihn wählt, wählt den Baum des Lebens.

Auf der andern Seite jener, der weiss, was er will, hier und zwar sofort, ohne Pardon. Seine Bot­schaft ist einfach und kommt gut an: Nicht warten und geschehen lassen, sondern selber handeln, nach selber definierten Spielregeln, wenn nötig mit Gewalt. Dies entspricht dem Baume der Erkenntnis. Das gefällt den Leuten, und so geschieht das Unfassbare: Sie wählen den Barabbas.

 

Sie, die Anwesenden von dazumal, wählen den Barabbas? - Nein, wir sind es! Die Evangelien sind doch heilige Schriften. Heilig kommt von heil, was ganz, unversehrt oder umfassend bedeutet. Nicht fixiert auf ein bestimmtes Ereignis in Raum und Zeit, sondern immer gültig, so auch für uns. Nicht umsonst sagt ein wichtiger Kommentar zur Thorah, den fünf Büchern Moses: "Kein Vorher und Nachher in der Thorah!". Wir sind es, die Barabbas wählen, wir nehmen vom Baume der Erkenntnis, vom Baume, der Frucht macht, und das immer wieder.

Doch täglich erhalten wir auch stets von Neuem das Geschenk des Lebensweges, freuen uns darüber, seufzen und stöhnen andererseits auch immer wieder unterwegs. So zeigt uns die Karfreitagsbotschaft deutlich: Gott der Schöpfer der beiden Bäume hat sie beide in sein Herz geschlossen und nimmt die Konsequenzen unseres Nehmens vom Baume der Erkenntnis auf sich, indem er uns einerseits auf den Weg schickt und uns andererseits auf diesem Wege hautnah begleitet, sich mit uns freut und mit uns leidet.

Mehr noch: Er ist Mensch geworden und hat den Weg wie wir beschritten, mit allen Konsequenzen, bis hin zum qualvollen Leiden und Sterben. Ausnahmen und Vergünstigungen hat Er keine für sich beansprucht. Und nach Seiner Auferstehung sagt Er auch zu seinen Jüngern, die Ihn auf seinem Leidenswege im Stiche gelassen haben, zu wiederholten Malen: "Friede sei mit euch!". Dies gilt nicht nur für jene, die Ihn begleitet haben, sondern für uns alle. Wie ihnen, seinen Jüngern, macht er auch uns keine Vorwürfe für unsere Verfehlungen, sondern bietet uns Seinen Frieden an. Wir alle sind Erlöste, umfangen von Seiner grenzenlosen Liebe und können darum nicht verloren gehen. Es ist dies eine unglaublich befreiende Botschaft ─ Frohbotschaft, Evangelium eben!

 

Auch Jesus fragt nach dem Sinne des Leidens

Beim Leiden und bei belastenden, unangenehmen Erfahrungen stellen wir bald einmal die Frage: „Warum?“ bzw. „Warum gerade ich?“ Bezeichnenderweise stellen wir diese Frage kaum bei schönen und erfreulichen Erfahrungen. Aber wir wissen es aus den Evangelien: Auch Jesus richtet diese Frage an Seinen Vater, als Er am Kreuze hängt, dem Hohn und Spott der Vorübergehenden ausgesetzt: „Eloj, Eloj, lamah sabachtani? ─ Mein Gott, mein Gott, wozu hast Du mich verlassen?“. Das hebräische ‚Lamah?’  kann auf zwei Arten übersetzt werden: Warum? und Wozu? Auf Schweizerdeutsch: Für was?  La, zu, für und mah, was? 

Die Frage ‚Warum?’ ist mehr nach rückwärts gerichtet, sucht nach kausalen Ursachen, möchte das Ungemach, das einem widerfährt, aus Geschehnissen der Vergangenheit herleiten können, unter anderem auch aus den eigenen Handlungen von früher. Typisches Beispiel dazu ist die Frage der Jünger Jesu, beim Anblick des Blindgeborenen, den Jesus heilen wird: „Meister, wer hat gesündigt, er oder seine Eltern, dass er blind geboren worden ist?“ Für uns schwer verdaulich die Antwort von Jesus: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, vielmehr sollen die Werke Gottes an ihm offenbar werden. …“ (Johannes 9, 1-4).

Anders beim ‚Wozu?’; da ist der Blick mehr nach vorne gerichtet. Im Zentrum der Frage steht weniger die Ursache für das, was mir widerfährt, sondern vielmehr die Suche nach einem Sinn und Zweck des Geschehens und nach einer Antwort darauf, wohin das führen soll.

Für uns bedeutsam und irgendwie auch tröstlich ist, dass es sogar Jesus während Seines Leidens und Seiner grossen Verlassenheit am Kreuze schwer fällt, den Sinn dieser Qualen zu verstehen. Ihm, dem Gottes Sohne also, der noch am Vorabend Seines grossen Leidens im Abendmahlssaal zu Philippus sagt, als der Ihn auffordert, ihnen den Vater zu zeigen: „Wer mich gesehen hat, hat auch den Vater gesehen.“ (Joh. 14, besonders die Verse 7-11). Diese Aussage dürfen wir wohl zu recht verstehen als Ausdruck Seines Erlebens der innigen Einheit mit dem Vater sowie Seines Wissens um diese Einheit. Es sieht demnach so aus, dass Gott dort, wo Er Sich für uns bis ins Äusserste und Letzte hingibt, dass Er Sich dort selber nicht mehr versteht – Hingabe absolut und kompromisslos, unglaublich und zutiefst erschütternd! Und darum brauchen wir uns nicht zu schämen, wenn wir in Stunden des Leidens klagend nach dem Warum und dem Wozu fragen. Dass Leiden und Tod aber nicht das Ende sein werden, hat Er uns mit Seiner Auferstehung gezeigt.

Quellen: Die vier Evangelien; Werke von Friedrich Weinreb, insbesondere: „Schöpfung im Wort“, „Die jüdischen Wurzeln des Matthäus-Evangeliums“, „Das Markus-Evangelium“ und „Innenwelt des Wortes im Neuen Testament“; https://www.weinreb-stiftung.org/buecher/verlag/



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